Kurze Einführung in die geschlechtliche Vielfalt
In der aktuellen Zeit wird viel über die Bedeutung von Geschlecht gesprochen. Geschlechtliche Vielfalt lässt sich in verschiedene Modelle herunterbrechen und im Folgenden ist das vierdimensionale Geschlecht vorgestellt, um greifbarer zu machen, worum es bei Geschlecht geht.
Das vierdimensionale Geschlecht ist in biologisches, psychisches und soziales Geschlecht unterteilt. Dazu kommt als vierte Dimension die sexuelle und romantische Orientierung. Es ist eine formale Trennung, da alle vier Ebenen gleichzeitig da sind und auch nur als Momentaufnahme der aktuellen Situation wahrgenommen werden. Ganz knapp gesagt: Geschlecht beschreibt, wer ich bin, die sexuelle Orientierung, auf wen ich stehe. Das reicht leider oft nicht aus, um sich in dem Dschungel ausreichend zu orientieren.
Beim biologischen Geschlecht wird die Kategorie Körper benannt. Das sind z. B. Stimme, Körperbehaarung, Gonaden, Chromosomen, Genitalien, Brust- bzw. Oberkörperbereiche oder unter welchem Hormonsystem die Person läuft. Hierbei gibt es die normative Annahme, dass es eine Eindeutigkeit dieser Merkmale gibt und ein Mensch bei der Geburt entweder männlich und weiblich zuordnen lässt. Binärgeschlechtliche Menschen werden somit privilegiert und inter Menschen fallen durchs Raster und werden diskriminiert.
Das psychische Geschlecht betrifft die Identität. Wer bin ich? Welche Geschlechtsidentität habe ich? Als welches Geschlecht fühle ich mich? Was fühlt sich stimmig für mich an, wie verbinde ich das Erleben meines Körpers mit meiner Identität? Die allgemeine gesellschaftliche Annahme ist die der Unveränderbarkeit von Geschlecht im Laufe des Lebens. Die Menschen, bei denen dies der Fall ist, werden Cis-Menschen genannt. Die Welt ist für sie gemacht und sie werden dadurch privilegiert. Personen, die ihre Geschlechtsidentität verändert haben oder das noch wollen, wie Trans-, nicht-binäre oder genderqueere Menschen, sind weniger sichtbar und haben dadurch Nachteile.
Während beim körperlichen und psychischen Geschlecht eine Person für sich alleine mit dem Körper und der Identität ist, kommt beim sozialen Geschlecht, das die Rolle und den Ausdruck einbezieht, die Interaktion mit dem Umfeld dazu. Durch die Ausgestaltung der getragenen Kleidung, Verhalten, Frisur, Gestik, Mimik, Schmuck, Körperhaltung oder das Herausstellen von Interessen tritt eine Person in Kontakt mit der Außenwelt. Hierbei zeigen sich die Wirkungen nach wie vor bestehender hierarchischer Geschlechterverhältnisse. Genderkonformes Verhalten wird mit Privilegien belohnt. Bei gender-nicht-konformem Verhalten greifen soziale Ausschlüsse und Abstrafungen.
Die sexuelle und romantische Orientierung ist streng genommen kein Teil von geschlechtlicher Vielfalt. Jedoch greifen beide wie Zahnräder ineinander. Mit welcher sexuellen Kultur und Beziehungsformen eine Person bisher im Leben Kontakt hatte, ist Teil dieser Kategorie. Auch die Wirkung von Fremdwahrnehmung und Geschlecht, etwa in einer Paarbeziehung, verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die Normativität bezieht sich auf (monogame) Hetero-Zweierbeziehungen und alle anderen Varianten finden erst langsam den Weg in die breite öffentliche Sichtbarkeit. Der Blick in eine optimistische Zukunft verspricht das gleichwertige Nebeneinanderstehen von Vielfalt und Variationen in diesen vier Dimensionen.
Diese Trennung macht Perspektiven explizit, die eh schon da sind. Je nach Privilegien- und Diskriminierungschaos, müssen sich Menschen jedoch unterschiedlich viele Gedanken darüber machen. Den eigenen Bezugsrahmen selbst aufzustellen und die Notwenigkeit ihn zu benennen, betrifft nicht alle. Der Fisch hat kein Konzept von Wasser, da er bereits in seinem Element ist und das Wasser als selbstverständlich annimmt. Wenn dieser Rahmen stimmig ist, fällt er wahrscheinlich gar nicht auf, wird als gegeben hingenommen und entsprechend gibt es wenig Impulse, ihn zu hinterfragen.
Durch die Auseinandersetzung und Sexualforschung der letzten Jahrzehnte verfügt die Medizin mittlerweile über ein ausgeprägtes Arsenal an Begriffen, Deutungen, therapeutischen und operativen Maßnahmen, mit dem sie dem Phänomen Transidentität begegnet. Wann ein Mensch für sich bemerkt, ob er trans oder nicht-binär ist, kann schon von klein auf sein oder erst später im Leben klarwerden. Ob und welche Schritte ein Mensch dann unternimmt, um das eigene trans sein auszuleben, ist unterschiedlich, ist manchmal erst zu einem späteren Punkt im Leben, aber nicht immer. Das Bewusstsein, dass etwas „anders“ als bei Gleichaltrigen ist und die Entscheidung etwas zu verändern, braucht oft Zeit. Welche Transitionsschritte ein Mensch macht oder nicht macht, sagt auch nichts über das trans sein aus. Wenn die Person sich als trans oder nicht-binär vorstellt, dann ist das die gültige Aussage.
Trans sein ist keine psychische Krankheit.
Jede größere Stadt hat mittlerweile Anlaufpunkte für transidente Menschen. In Gruppen und Vereinigungen trifft man sich zum gegenseitigen Kennenlernen, zum Erfahrungsaustausch und um Tipps und Tricks zu diskutieren und weiterzugeben. Alternativ dazu eröffnet das Internet virtuelle Räume und Begegnungsmöglichkeiten. Wenn es die Ahnung gibt, dass trans oder nicht-binär sein etwas ist, dass dich selbst betreffen könnte oder du Menschen in deinem nahen Umfeld hast, kannst du dich als ersten Schritt an eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe wenden. Spezielle trans-Beratungsstellen können Anlaufpunkt sein, um eigene Ungewissheiten, Fragen und Möglichkeiten zu klären, sowohl für Eltern, als auch für Freund*innen oder trans Menschen selbst.
Die Grenzen zwischen den Geschlechtern waren zu allen Zeiten fließend und wir haben manchmal den Eindruck, dass sie sich mehr und mehr verflüssigen. Das stimmt auch. Vielfalt wird mehr und mehr in der gesellschaftlichen Mitte sichtbar. Die Gesellschaft ist an manchen Orten freier und offener geworden, so dass mehr und mehr Mut aufgebracht wird, die vielfältigen Lebensweisen auch anderen mitzuteilen und öffentlich auszuleben. Transidente Menschen leben sich ganz unterschiedlich und vielfältig aus. Es gibt heterosexuelle, homo- und bisexuelle und noch ganz anders orientierte Menschen. Die gelebten Beziehungskonzepte sind genauso bunt aufgestellt wie bei anderen auch. Auch unsere queere Szene wird bunter und trans und nicht-binäre Menschen haben mehr und mehr Raum ihre Sexualität und Lust am Körper auszuleben. Und Seite an Seite mit anderen queeren Menschen Platz einzunehmen. Eine wünschens- und unterstützenswerte Entwicklung, die zum Wohle demokratischer Grundwerte verteidigt werden muss.
Ricardo Wolske (Stand 2009), Alexander Hahne (Stand 2023)
weiterführende Broschüren und Literatur:
IWWIT Broschüre, Schwul. Trans*. Teil der Szene.
Trans*late Broschüre von Moritz aus Münster
Sexuelle Bildung zu trans* und nicht-binären Körpern – Materialkarten für Beratung und Workshops, Alexander Hahne, Edition Assemblage
Rauchfleisch, Udo (2006): Transsexualität – Transidentität. Begutachtung, Begleitung, Therapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Dissens Interventionen Projekt
Material von TrIQ, BVT*, LSVD, NGVT, Rubicon, FUMA Essen
Filmtipps
Spielfilm Romeos, 2011
WARTMANN, THOMAS (2007): Between the lines. Indiens drittes Geschlecht. Als DVD erhältlich. Produktion: Filmquadrat München
weiterführende Links:
http://www.dgti.org/ (Deutsche Gesellschaft für Trans- und Intersexualität)
http://www.transgender-net.de/ (Sitz: Düsseldorf)
Beratung in Sachsen:
Dresden: kontakt@gerede-dresden.de
Leipzig: beratung@rosalide.de
Chemnitz: info@different-people.de