Essstörungen bei Männern

Die Essstörungen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa galten früher als reine Frauenkrank-heiten, werden aber in unserer westlichen Industriegesellschaft zunehmend auch bei jungen Männern beobachtet.

Anorexia nervosa

Die Anorexia nervosa zeichnet sich vor allem durch eine Gewichtsphobie – die Angst, zu dick zu werden – aus. Das Erleben des eigenen Körpers ist gestört, die Betroffenen legen für sich eine viel zu niedrige Gewichtsschwelle als normal an. Es kommt zu einem mitunter drastischen Ge-wichtsverlust, der lebensbedrohliche Ausmaße annehmen kann. Erreicht wird das Absenken des Körpergewichts durch eine stark eingeschränkte Nahrungsaufnahme, die Vermeidung kalorien-reicher Speisen, übertriebene körperliche Aktivität, das eigenständige Auslösen von Erbrechen oder den Missbrauch von Abführmitteln, harntreibenden Medikamenten oder Hormonpräparaten. Die Erkrankung entwickelt sich oft bei Jugendlichen in einer angespannten Familiensituation, die Nahrungsverweigerung dient dem Wunsch nach Selbstbehauptung und der Abwehr sexueller Be-dürfnisse. Der deutsche Begriff “Magersucht” deutet den suchtartigen Charakter der Erkrankung an. Die Behandlung ist oft schwierig und langwierig.

Bulimia nervosa

Die Bulimia nervosa, zu deutsch “Ochsenhunger”, ist erst seit 30 Jahren als eigenständiges Krankheitsbild bekannt. Charakteristisch sind eine Gier nach Nahrungsmitteln und unkontrollierte Essattacken mit dem Verzehr großer Mengen von Nahrungsmitteln, es folgen dann Schuldgefühle und Versuche der Gegensteuerung durch selbstinduziertes Erbrechen oder andere Methoden der Gewichtsabnahme. Die Betroffenen haben oft ein niedriges Selbstwertgefühl, und es fällt ihnen schwer, innere Spannungen auszuhalten. Die Essstörung ist mit erheblichen Schamgefühlen ver-bunden und wird oft vor der Umgebung verborgen.

Essstörungen bei Männern

Vor etwa 10 Jahren erwachte das Interesse für Essstörungen bei Männern, als erste Berichte über anorektische Verhaltensweisen bei Sportlern wie Skispringern oder Langstreckenläufern erschienen. Die strenge Gewichtskontrolle ist sicher aus Wettbewerbsgründen bei manchen Sportarten erforderlich, und es gibt fließende Übergänge zwischen noch normalem Konkurrenzverhalten und krankhafter Esstörung. Hochleistungssportler haben wie Anorexie-Patienten oft ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Perfektionismus.

Esstörungen bei Männern sind auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels. Die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern und das Bild vom “starken Mann” bröckeln, und immer mehr Frauen übernehmen männliche Aufgaben. Überdies sprechen Pädagogen von einer “Jungenkrise” angesichts eines Mangels an überzeugenden und realen männlichen Identifika-tionsfiguren. Die Bedeutung des Körpers für das männliche Selbstwertgefühl steigt, weiblichen “Topmodels” stehen in Film und Werbung muskulöse und fettfreie männliche Schönheitsideale gegenüber. Als Folge geraten immer mehr Jungen und Männer in eine Identitätskrise und entwickeln die überwertige Idee, ihr Körper sei nicht ausreichend mager und muskulös. Viele männliche Essgestörte leiden unter großen Schamgefühlen und offenbaren ihre Erkrankung nicht, da sie eine soziale Ächtung befürchten.

Nach neueren amerikanischen Untersuchungen leiden homo- und bisexuelle Männer häufiger an Essstörungen als heterosexuelle Männer, möglicherweise ist diese Beobachtung durch die grös-sere Bedeutung körperlicher Attraktivität in der erstgenannten Gruppe zu erklären.

Behandlung

Die Behandlung hängt vom Ausmaß der Essstörung und ihrer Bedeutung für das Leben der Betroffenen ab. Sehr bedeutsam ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Während in leichten Fällen Aufklärung und Beratung ausreichen können, ist in schwereren Fällen eine ambulante oder stationäre Psychotherapie unter Mitberücksichtigung des familiären Umfeldes erforderlich.

Markus Dech

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