Selbstbefriedigung

Bei der Selbstbefriedigung oder Masturbation (fälschlicherweise auch “Onanie” genannt, nach der Gestalt des Onan im Alten Testament, der den Geschlechtsverkehr unterbrochen hatte und seinen Samen auf den Boden fallen ließ) wird durch Streicheln oder Massieren der erogenen Zonen des eigenen Körpers Lust erzeugt und Befriedigung ausgelöst, bei Männern insbesondere durch Stimulation des Gliedes (ugs. sich einen runterholen, wichsen), bei Frauen insbesondere des Kitzlers. Frauen wie Männer kommen durch Selbstbefriedigung besonders leicht, schnell und unaufwendig zum Orgasmus.

Blick in die Geschichte

“Wenn schnöde Wollust dich erfüllt,
so werde durch ein Schreckensbild / verdorrter Totenknochen
der Kitzel unterbrochen.” (Motto des berüchtigten Buches über Onanie von Tissot 1774)

Man kann sich heute kaum vorstellen, wie in früheren Zeiten die Selbstbefriedigung verteufelt wurde. Sie galt nicht nur als Laster oder schwere Sünde, sondern gleichermaßen als Ursache für alle möglichen Krankheiten – von der Epilepsie bis hin zur Rückenmarksschwindsucht und ähnlichen höchst unangenehmen Leiden. Für Kinder und Jugendliche, die beim Masturbieren erwischt wurden, hatte man sich schreckliche Strafen ausgedacht. Sie bekamen Fausthandschuhe übergezogen, wurden mit den Händen ans Bett gefesselt, das Genitale wurde mit Bandagen verschnürt. Beliebt war auch die Prügelstrafe oder das Drohen mit Abschneiden des Gliedes. Glücklicherweise liegen diese grausamen Zeiten hinter uns.

Die aufgeklärte Sexualaufklärung hat in den vergangenen Jahrzehnten viel getan, den Fluch von der “Onanie” und den Selbstbefriedigern die Angst zu nehmen. Selbstbefriedigung wird heute von der Sexualwissenschaft als völlig normale Verhaltensweise akzeptiert. Sie wird nicht nur als Ersatz für einen fehlenden Partner, gewissermaßen als Notbehelf, sondern als eigenständige und reizvolle Variante sexueller Aktivität betrachtet, deren man sich keinesfalls zu schämen braucht, ja die sogar wertvoll, gut und lebensbejahend sein kann.

Eine Erfahrung, die (fast) jeder mal macht

Für viele ist Selbstbefriedigung der Ausgangspunkt für sexuelle Selbsterfahrung. Sie trainiert die Sexualfunktionen, fördert die Phantasie und erweckt die Sinne zu neuem Leben. Selbstbefriedigung ist nicht nur bei Jugendlichen Ausdruck der sich nun manifestierenden sexuellen Bedürfnisse, sondern spielt auch im Erwachsenenalter als eine Rolle. Insbesondere für Singles ist das sexuelle Spiel mit sich selbst eine Möglichkeit zum Lustgewinn und zur sexuellen Entspannung. Aber auch in festen Partnerschaften mit regelmäßigem Partnersex wird masturbiert. Nicht selten wissen die Partner davon und akzeptieren das, gegenseitiges Masturbieren sowie das Masturbieren vor dem Partner kann zum Liebesspiel gehören.

Häufigkeit wie auch Art und Weise der Selbstbefriedigung hängen von vielen Faktoren ab. Ob es Männer gibt, die nie masturbiert haben, ist nicht zu ermitteln. In Befragungen geben 98-99% Masturbationserfahrung an. Bei Frauen liegen die Angaben etwas niedriger, sie sind allerdings in den letzten Jahrzehnten gestiegen und erreichen bei der jüngeren Frauengeneration fast das gleiche Niveau wie bei den Männern, wobei im Durchschnitt Frauen weniger als Männer masturbieren. Die Häufigkeit streut bei beiden Geschlechtern sehr, von mehrmals am Tag bis einmal im Jahr, von einer festen Gewohnheit in jungen Jahren bis zum Ausklingen im Alter. So geben 30jährige Männer sechsmal im Monat, 45jährige viermal und 60jährige ein- bis zweimal an. Die Vergleichszahlen bei den Frauen sind hierbei dreimal, zweimal sowie kein oder einmal (Starke).

Was erwachsene Menschen bei der Selbstbefriedigung empfinden, ist individuell sehr verschieden. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass masturbierende Frauen und Männer eine gewisse Scham empfinden und es ihnen vor sich selbst und vor anderen peinlich ist. “Wichser” ist nach vor kein Lob, sondern ein Schimpfwort. Im privaten und öffentlichen Raum wird die eigene Selbstbefriedigung nur von wenigen verbalisiert, noch weniger Leute prahlen damit oder teilen ihre Erlebnisse gern mit. Irgendwie hat die Selbstbefriedigung in Zeiten der fortschreitenden Entintimisierung ihren privat-intimen Charakter bewahrt.

Die öffentliche Meinung zur Masturbation

In Pornofilmen ist die weibliche Masturbation ein aufreizendes Moment für Männer, nicht so die männliche Masturbation für Frauen. Diese sind eher irritiert bis abgestoßen, vor allem wenn sie den eigenen Mann dabei erwischen. Wie groß die Zahl der Frauen ist, die erfreut darüber sind, dass der Partner nachts beim Telefonsex oder beim Betrachten eines Pornofilms masturbiert, bzw. denen das gleichgültig ist, ist nicht bekannt, wohl aber sind entsprechende Klagen von Frauen dokumentiert.

Die Toleranz gegenüber der Selbstbefriedigung ist gestiegen, nicht in Bezug auf jugendliche, “nichterwachsene” Sexualität, sondern auch auf erwachsene Sexualität. Doch ist diese Toleranz merkwürdig abstrakt: Den Meisten fällt es schwer, sich eine konkrete Person – zumal eine Autorität – masturbierend vorzustellen: die Oma, das MdB, den Pastor, den Star, den König oder die Bäckersfrau.

Ist “echter” Sex noch wichtig?

Fernab von all diesen Betrachtungen steht fest, dass es Selbstbefriedigung gibt und dass sie für die meisten Erwachsenen mehr oder weniger häufig selbstverständlich geworden ist, aber nicht über den partnerschaftlichen Sex gesiegt hat. Geschlechtsverkehr ist in allen Generationen und bei beiden Geschlechtern in festen Beziehungen häufiger als Masturbation.

Prof. Dr. Kurt Starke

weiterführende Literatur:

Kurt Starke (2005): Nichts als die reine Liebe. Lengerich: Pabst

weiterführende Links:

Eine aufschlussreiche historische Betrachtung sowie praktische Ausführungen rund um das Thema Selbstbefriedigung finden Sie im Online-Atlas der menschlichen Sexualität:
http://www2.hu-berlin.de/sexology/ATLAS_DE/

In der aktuellen Studie des Kondomherstellers Durex von 2007 wurden weltweit Menschen über ihr Sexualverhalten befragt, u.a. zum Thema Selbstbefriedigung. Die Ergebnisse können Sie auf dieser Seite nachlesen:
http://www.durex.de

Die Online-Ausgabe des “Stern” widmet sich der Selbstbefriedigung in einem Extra und hat dazu Männer und Frauen befragt:
http://www.stern.de/wissenschaft/mensch/

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