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Pädophilie
Behandlung
Was ist mit den Kindern?
Unter Pädophilie wird eine Beziehung zwischen Erwachsenen und einem präpubertären Kind verstanden, die von Seiten des Erwachsenen auch mögliche sexuelle Gefühle einschließen können. Pädophile selbst bzw. deren Interessenvertreter ergänzen: Es bestehen soziale Kontakte zu den Kindern, in denen die kindlichen Wünsche und Bedürfnisse geachtet werden (Kind und Sexualität 1997).
In Abgrenzung zur Pädophilie subsumiert der Begriff Päderastie Beziehungen einschließlich Sexualkontakten von Erwachsenen zu pubertären Kindern und Jugendlichen.
Auf diesem Hintergrund haben nicht alle sexuellen Kontakte von Erwachsenen zu Kindern pädophilen Charakter. Aus bisheriger Sicht (Seikowski 2009) gibt es 6 verschiedene Personengruppen:
Pädophilie als Fähigkeit:
Da wären zunächst die “Pädophilen”, die unauffällig wie jeder andere Mensch leben und nie straffällig werden. Pädophilie bedeutet lediglich, sich zu Kindern (pädo-) hingezogen (-philie) zu fühlen. Sie sind selbst in gewisser Weise Kinder geblieben, haben sich die Natürlichkeit von Kindern bewahrt und können sehr gut mit Kindern umgehen. Sie müssen sich auch nicht unbedingt durch Kinder sexuell erregt fühlen. Wenn Sie z.B. Kinderchöre oder ähnliche Vereine leiten, sind sie sehr erfolgreich.
Pädophilie und Pädosexualität:
Dann gibt es die Pädophilen, die Kind geblieben sind, für die Kinder jedoch auch erotisierend wirken. Sie sind oft mit Kindern zusammen, fühlen wie diese, können sich in Kinder auch sehr gut hineinversetzen. Sie empfinden den Schmerz der Kinder, die darunter leiden, zu wenig Zuwendung durch die Eltern zu erlangen. Sie kennen dieses Gefühl aus eigener kindlicher Erfahrung – leiden also auch mit. Sie streben danach, diesen Kindern die fehlende Zuwendung zu geben. Doch genau an dieser Stelle vermischen sich zwei verschiedene Lebensabschnitte (Schmidt 1998 spricht von “Machtungleichgewicht der Partner”), die dem Pädophilen zum Verhängnis werden können: er fühlt zwar wie ein Kind, hat aber ab der Pubertät die Sexualität eines Erwachsenen. Er erfährt, dass eine körperliche Zuwendung (etwa ein Kind in den Arm nehmen – Kinder wünschen sich diese Umarmungen) zu sexueller Erregung führen kann. Er ist frustriert und irritiert – und hat keine Möglichkeit, mit jemandem darüber zu sprechen, da er weiß, dass sein Verhalten straffällige Konsequenzen haben kann. Er ist sich selbst überlassen. Allerdings hat er auch kein Gefühl dafür, dass er einem präpubertären Kind durch sexuelle Handlungen einen schweren Entwicklungsschaden zufügen kann. Er glaubt, mit seiner Zuwendung – die er ja selbst in seiner Kindheit so vermisst hat – dem Kind Gutes zu tun. Das Kind versteht jedoch die Handlungen dieser geachteten Person möglicherweise nicht, da es sich noch nicht in der Pubertät befindet – sexuelle Erregungen wie bei den Erwachsenen vermutlich noch nicht kennt. Körperliche Wärme (z.B. in den Arm genommen werden) empfindet es als angenehm. Es spürt jedoch, dass etwas “nicht gut” war. Auch das Kind kann, muss aber nicht irritiert sein.
Pädophile und Kinderpornographie:
Sexuelle Kontakte zu Kindern werden vermieden. Die Pädosexualität wird anonym über Zeitschriften, in letzter Zeit auch vermehrt über das Internet ausgelebt. Kinderpornografie-Nutzer sind aber im Internet nicht immer Pädophile. Es gibt 3 Gruppen (Beobachtungen in der eigenen Sprechstunde) – Neugierige – durch die Medien „angestachelte“ Personen, die wissen möchten, um was es geht, wenn immer wieder über Kinderpornographie berichtet wird, die Pädophilen selbst und verdrängt sexuell Missbrauchte, die (meist zufällig) auf Kinderpornographieinternetseiten gelangen, sich von diesen Bildern und Filmen z.T. angeekelt fühlen und nicht verstehen, warum sie sich immer wieder diese Bilder anschauen. Im psychotherapeutischen Setting ergibt sich dann meist im Rahmen einer Traumatherapie, dass sie selbst als Kind sexuell missbraucht wurden, dieser Missbrauch verdrängt wurde (präpuberale Amnesie) – und sie durch die Bilder und Filme im Internet daran erinnert werden (flash backs), dass das irgendetwas mit ihnen zu tun hat, sie es zu Anfang jedoch noch nicht deuten können.
Sexueller Missbrauch von Kindern als Perversion:
(hat mit Pädophilie in der Regel nichts zu tun)
Es sind erwachsene psychisch kranke Personen, die Kinder sexuell missbrauchen, obwohl sie nicht pädophil sind. Sie sind geltungsbedürftig und haben das Problem, in zwischenmenschlichen Beziehungen wenig kontaktfähig zu sein. Sie haben aber auch einen sexuellen Trieb – und haben erfahren, dass man Kinder aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit eher zu sexuellen Handlungen zwingen kann. Sie können sich weniger als Erwachsene wehren. Die sexuellen Handlungen mit Kindern sind für diese Personen eine Art Ersatz für normale kommunikative und sexuelle Beziehungen zu gleichwertigen erwachsenen Personen. Sie haben auch nie gelernt, über Sexualität zu sprechen. Die missbrauchten Kinder kennen ihren Missbräuchler meist nicht. Er ist ihnen fremd. Man spricht bei dieser Personengruppe oft auch vom „aggressiv-sadistischen Täter“.
„Ersatztäter“
(hat mit Pädophilie nichts zu tun)
Es gibt Männer wie Frauen, die in einer festen Beziehung leben, sich aber durch den Partner sexuell unbefriedigt fühlen. Über die vorhandenen sexuellen Probleme und Defizite wird in der Partnerschaft nicht geredet. Sexueller Triebstau gerät außer Kontrolle und verhindert, sich in die andere Person hineinzuversetzen. Es kommt zum intrafamiliären Missbrauch. Diese Personen werden häufig auch als „Ersatzobjekt-Täter“ bezeichnet. Leider wird immer wieder beobachtet, dass z.B. Ehefrauen über den Missbrauch der eigenen Tochter durch die Ehemänner, Stiefväter oder andere Personen bescheid wissen. Dieser wird bagatellisiert oder verleugnet. Sie selbst haben dann Ruhe vor dem sexuellen Drängen ihres Partners und verdrängen dadurch eigene frühere Missbrauchserfahrungen.
Herstellung und Verbreitung kinderpornographischen Materials
(hat mit Pädophilie meist nichts zu tun)
Nicht unerwähnt bleiben sollen kommerzielle Vermarktungen: Es gibt Personen, die sich mit den Neigungen Pädophiler und sexueller Missbräuchler von Kindern eine goldene Nase verdienen (z.B. Kinderpornografie und Kinderprostitution) . Sie selbst können der Pädophilenszene entstammen, müssen es aber nicht (vgl. Gallwitz & Paulus 1999).
Pädophilie ist keine psychische Erkrankung, sondern eine angeborene Variante einer sexuellen Orientierung – also auch ursächlich nicht therapierbar (Seikowski 2009, Vogt 2006).
Kann man Pädophilie behandeln ?
Prinzipiell gilt, dass Pädophilie ursächlich nicht behandelbar ist. Es hat sich die Meinung durchgesetzt, dass es sich bei der Pädosexualität um eine angeborene sexuelle Orientierung handelt, die lebenslang bestehen bleibt. Das bedeutet, dass das realistische Therapieziel darin besteht zu lernen, wie diese Orientierung so in die Lebensgestaltung integriert werden kann, damit es zu keine Straftaten kommt. Das heißt, der Pädophilie lernt rechtzeitig für sich zu erkennen, wann und unter welchen Umständen seine sexuelle Steuerbarkeit eingeschränkt ist, um diese dann durch in der Therapie erlernte Strategien wieder kontrollierbar werden zu lassen.
Organisatorisch stehen für die Therapie 2 Formen zur Verfügung:
- 1. Zum einen gibt es seit vielen Jahren Psychotherapeuten und Sexualtherapeuten, die in Spezialeinrichtungen und im Niederlassungsbereich in der Lage sind, diese Personen als Patienten zu betreuen. Eine solche Therapie ist über die Krankenkasse unter der Diagnosenummer F65.4 abrechenbar.
- 2. Doch so mancher Pädophile möchte anonym bleiben. Für diese Personen gibt es seit einigen Jahren das „Pädophilie Projekt Dunkelfeld“ (www.kein-taeter-werden.de). Voraussetzung für die Teilnahme an dieser Therapieform ist jedoch, dass man bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung trat.
Was ist mit den Kindern?
Im folgenden soll auf die Beziehung der Kinder zu den Erwachsenen eingegangen werden, die ihnen vertraut sind und etwas zu den Kindern gesagt werden, die von Personen missbraucht wurden, die ihnen fremd sind.
Vertraute Bezugspersonen: Am häufigsten findet der sexuelle Missbrauch von Kindern in der Familie selbst statt. In der öffentlichen Diskussion jedoch kommt diese Form des Missbrauchs relativ selten zur Sprache. Oft sind die Familienverhältnisse gestört. Es wird wenig über auftretende Probleme gesprochen. Partnerprobleme sind oft an der Tagesordnung. Auch die in der Familie lebenden Kinder sind von diesen Spannungen betroffen. Kinder sind aber harmoniebedürftig und in dieser Situation für Zuwendung besonders empfänglich. Wenn die Eltern sexuelle Probleme miteinander haben, pädophile Neigungen und/oder ein Triebstau des Vaters vorhanden ist, entsteht eine konfliktreiche Situation: Das Kind ist offen für Zuneigung – und nimmt es manchmal sogar in Kauf, dafür etwas tun zu „müssen“, was es nicht versteht oder wovon es das Gefühl hat, dass dies mit der gewünschten Zuwendung nichts zu tun hat. Das gleiche gilt für erwachsene Bezugspersonen wie z.B. einen Onkel, den Grossvater oder einen Freund bzw. Bekannte der Familie oder auch Pädophile, die dem Kind Zuwendung entgegenbringen. Es kann eine gegenseitige Abhängigkeit entstehen. Der Soziologe Amendt wertet in diesem Zusammenhang sexuelle Kontakte von Pädophilen zu Kindern als Inzest (Psychologie heute 1997), indem er besonders diesen Zuwendungsbezug als ähnlich der Vater-Kind-Beziehung annimmt.
Kinder übernehmen oft sogar die Schuldgefühle (Bornemann 1980), die eigentlich der Erwachsene haben sollte – z.B. dann, wenn es einer anderen Person davon erzählte, diese dann eine Anzeige erstattete und die Bezugsperson, die das Kind sexuell missbrauchte, in Untersuchungshaft kommt: „Ich bin schuld, dass der Vati im Gefängnis ist…“. Manchmal sind es auch die Mütter, die ihren Töchtern noch mehr Schuldgefühle einreden: „Du hast unsere Familie kaputt gemacht…“. Wir erleben es oft, dass diese missbrauchten Personen, wenn sie selbst erwachsen sind, unter diesen Schuldgefühlen immer noch zu leiden haben. Sehr oft sind psychosomatische und/oder psychiatrische Erkrankungen die Folge (vgl. dazu im Überblick Egle et al. 1997). Oft leiden sie auch unter sexuellen Problemen, da sie in einem Alter – meist vor der Pubertät – sexuelle Kontakte hatten, die ihrem Entwicklungsstand nicht entsprachen. Selbst bei einem Menschen, den sie lieben, kann der Konflikt erneut „hochkommen“: Sexueller Kontakt dient dazu, Zuwendung zu bekommen. Aus den Psychotherapien dieser Personen wissen wir, wie schwierig es ist, diese schwerwiegenden seelischen Verletzungen aus der Kindheit zu bearbeiten.
Fremde Personen: Der einmalige bzw. mehrmalige erzwungene sexuelle Missbrauch von Kindern mit fremden Personen ist mit einer Vergewaltigung vergleichbar. Es ist ein aggressiver Akt, der zu schweren Traumen führt. Hier sind Jungen wie Mädchen gleichermaßen betroffen. Der Täter ist ihnen körperlich überlegen, sie können sich nicht wehren. Selbst als Erwachsene haben sie noch Ängste, sich einem anderen Menschen körperlich hinzugeben. Die Furcht, dass es „schmerzhaft“ sein könnte, ist groß.
Um einem Kind so früh wie möglich helfen zu können, erscheint es wichtig zu wissen, ob es Verdachtsmomente gibt, denen man als Erwachsener nachgehen sollte. Grundsätzlich „hellhörig“ sollte man immer dann werden, wenn sich das Kind relativ plötzlich in seinem Verhalten ändert. Im Kleinkindalter betrifft das folgende – plötzliche – Merkmale: Sprachrückentwicklung, Tics, Nägel knabbern, Fingerlutschen, Furcht mit Anklammerungsversuchen, Einnässen, Einkoten sowie Schlaf- und Essstörungen. Im Schulalter sind dies plötzliche Kopfschmerzen, Genital- und Bauchbeschwerden, Schlafstörungen, Alpträume, sexuelles Renommieren, Imitation der Tat (wie ein Spiel) vor anderen, Ängste und Verstörtheit, Abfall schulischer Leistungen, Selbstmordversuche, aggressives Verhalten, Weglaufen, plötzlich nicht mehr sprechen können. Im Jugendalter können Störungen wie Nahrungsverweigerung, Schwindelgefühle, Genital- und Bauchbeschwerden, Isolation und Rückzugsverhalten, manchmal auch Verwahrlosung und Selbstmordversuche auftreten. Es muss an dieser Stelle gesagt werden, dass die genannten Auffälligkeiten grundsätzlich auch bei anderen psychischen Konflikten auftreten können, denen aber genauso nachgegangen werden sollte. Ein Kind fühlt sich mit seinen Problemen oft alleingelassen. Nach einem sexuellen Missbrauch sind die Konsequenzen bis ins Erwachsenenalter oft fatal, so dass eher eine frühzeitige Hilfe angezeigt ist. Leider kommt es in diesem Zusammenhang auch vor, dass Personen zu Unrecht des sexuellen Missbrauchs bezichtigt werden, was viele zwischenmenschliche Konflikte nach sich zieht. Aus diesem Grunde empfiehlt sich – auch im Interesse des Kindes – ein vorsichtiges und sensibles Vorgehen.
Dr. Kurt Seikowski
Literatur:
Bornemann E: Puberale Amnesie. Die Sexualität des Kindes und ihre erkenntnistheoretischen Folgen. Psychoanalyse 1 (1980) 62-76.
Gallwitz A & Paulus M: Die Kinder-Sex-Mafia in Deutschland. Täterprofile, Pädophilenszene, Rechtslage. Berlin: Ullstein 1999.
Kind und Sexualität. Beiträge zur Kindersexualität, Pädophilie, Angst und Missbrauch. Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Humane Sexualität. Giessen 1997.
Psychologie heute 12 (1997): Pädophilie: Partnerschaft oder subtile Gewalt? 5 Streitfragen an Gerhard Amendt und Rüdiger Lautmann, 56-61.
Schmidt G: Spätmoderne Sexualverhältnisse. Zum sozialpsychologischen Hintergrund sexualtherapeutischer Arbeit. In Strauss B (Hrsg) Psychotherapie der Sexualstörungen: Krankheitsmodelle und Therapiepraxis störungsspezifisch und schulenübergreifend. Stuttgart, New York: Georg Thieme 1998
Seikowski K (2009) Pädophilie – psychisch krank? Ein unangenehmes Thema in der heutigen Zeit. In Greuel L, Petermann A (Hrsg) Macht – Familie – Gewalt (?) / Intervention und Prävention bei (sexueller) Gewalt im sozialen Nahraum. Lengerich, Berlin, Bremen, Riga, Rom, Viernheim, Wien, Zagreb: Pabst Science Publishers, 139-153.
Vogt H Pädophilie. Leipziger Studie zur gesellschaftlichen und psychischen Situation pädophiler Männer. Lengerich, Berlin, Bremen, Miami, Riga, Viernheim, Wien, Zagreb: Pabst 2006.