von Ferdinand Krista
Der Einstieg in die Sexarbeit hält viele Schwierigkeiten und Fallstricke bereit. Machen wir uns nichts vor: die wenigsten Menschen haben zu ihrem Beginn in der Sexarbeit Zugang zu fundierter Einstiegsberatung. Viele Sexworker*innen haben zudem kein Netzwerk und keine zeitlichen oder finanziellen Kapazitäten, um sich über Arbeitsweisen und -strategien auszutauschen.
Besonders rar gesät sind diese so wichtigen Informationen und Hilfestellungen im Bereich der männlichen Sexarbeit. Aus diesem Grund soll dieser Text genau das bieten: eine konkrete Unterstützung. Aus meiner Erfahrung als Sexworker im Bereich Escort, BDSM und der Sexualbegleitung möchte ich praktische Tipps geben, die Überlegungen zum Einstieg unterstützen und den Arbeitsalltag erleichtern. Nicht alles wirst du eins zu eins umsetzen können oder wollen. Dieser Leitfaden dient nicht als Checklist, die du Punkt für Punkt abarbeiten sollst. Viel mehr verstehe ich ihn als Unterstützung auf dem Weg, die eigene Arbeitsweise zu finden, eigene Mechanismen und Strategien zu entwickeln, um sicher und möglichst selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig sein zu können.
Einige Dinge solltest du dir unbedingt vor Augen halten, bevor du loslegst: männliche Sexarbeit ist beinahe ausnahmslos (noch) schlechter bezahlt als weibliche Sexarbeit. Je nach persönlichen Lebenshaltungskosten kann es also sehr schwierig sein, als Mann gänzlich von Sexarbeit zu leben. Die meisten männlichen Sexarbeiter üben diesen Beruf nicht als einzige Einnahmequelle aus. Darüber hinaus wird männliche Sexarbeit nahezu ausschließlich von männlichen Kunden in Anspruch genommen. Natürlich gibt es auch Kundinnen, diese bilden aber die Ausnahme. Wenn du die Arbeit vorwiegend aufgrund eines finanziellen Aspekts ins Auge fasst, dann solltest du dir im Klaren darüber sein, dass ein einigermaßen nennenswertes Einkommen nur zu erzielen ist, wenn du deine Dienste auch für Männer anbieten kannst.
Die Basics:
Escort/Callboy: Der Begriff „Escortservice“ kann vieles bedeuten – vom (bezahlten) ausgedehnten Theaterabend mit Restaurantbesuch und Shoppingtour bis hin zu einem schnellen Sex-Treffen. Allgemein ist jedoch eher zweiteres nachgefragt, vor allem bei männlicher Sexarbeit. Männlicher Escortservice ist stark geprägt von der schwulen Casual-Dating-Szene, ihren Umgangsformen, Codes und Erwartungshaltungen. Es kann hilfreich sein, dich mit dieser Szene vertraut zu machen, zum Beispiel durch die zahlreichen Dating-Apps. Hier findest du viele Kategorien, Körperbilder und Kinks, die du mit deinen eigenen Vorstellungen abgleichen kannst, um eine Sexwork-Arbeits-Persona zu erschaffen, die zu dir und deiner Arbeitsweise passen könnte.
BDSM: Im BDSM-Bereich ist Spezialisierung und Professionalisierung noch wichtiger. Genaue Kenntnis von den Techniken der angebotenen Praktiken ist hier eine Grundvoraussetzung, da du sonst dich und deine Kunden schnell in gefährliche Situationen bringen kannst. Zahlreiche BDSM-Studios bieten Kurse und Weiterbildungen an. Diese solltest du nutzen, wenn du die zeitlichen und finanziellen Mittel dazu hast. Ansonsten gibt es an vielen Orten auch BDSM-Stammtische. Häufig triffst du dort Menschen, die dich gerne in die verschiedenen Möglichkeiten einführen.
Online: Pornos, Videochats, Fotos – es gibt viele Möglichkeiten, mit der Online-Sexarbeit Geld zu verdienen. Häufig reicht schon eine gute Handykamera und ein Internetzugang aus, um in diesem Bereich erste Schritte zu gehen. Allerdings ist ein langer Atem gefragt: regelmäßige Erstellung von neuem Content, Marketing und Sichtbarkeit sind das A und O. Wichtig: Lösche immer die Meta-Daten deiner Dateien, bevor du sie versendest. Diese können sonst deinen genauen Standort verraten! (Dieser Leitfaden richtet sich allerdings vorwiegend an Sexarbeit, die im analogen Raum mit realen Treffen stattfindet.)
Was biete ich an?
Diese Frage gilt es sich immer wieder zu stellen, egal ob du grade erst anfängst oder schon länger dabei bist. Überlege dir, welche Eigenschaften du hast und wie du diese für die Arbeit nutzen kannst. Denn es ist nicht nur relevant, was du WILLST, sondern auch, was du KANNST. Frage dich beispielsweise, ob du deine Erektion einigermaßen steuern und halten kannst oder ob du schmerzfrei und sicher in der Lage bist, passiven Analverkehr zu haben. Übe Praktiken, bevor du sie anbietest, teste Spielzeuge und Hilfsmittel. Vieles kannst du an dir selbst ausprobieren. Das hilft dir dabei, deine Kräfte und Fähigkeiten besser einzuschätzen. Du solltest zunächst Dinge anbieten, bei denen du dich wirklich sicher fühlst, aber natürlich spielt auch eine Rolle, ob es dafür eine Nachfrage gibt und in welchem Bereich der Sexarbeit du dich positionieren willst. Sei ehrlich zu dir selbst und brich nichts übers Knie. Taste dich lieber Stück für Stück vorsichtig voran. Die meisten Sexarbeiter*innen verändern im Laufe ihrer Karriere ihr Angebot stark, das ist ganz normal! Nimm dir die Zeit, die es braucht, um deinen eigenen Weg zu finden und scheue dich nicht davor, immer mal wieder eine neue Richtung einzuschlagen. Dein Angebot muss übrigens nichts mit deiner privaten Sexualität oder eigenen Vorlieben zu tun haben!
Wie bekomme ich Kund*innen?
Stärker als in der weiblichen Sexarbeit spielen bei der männlichen Sexarbeit pragmatische Überlegungen eine Rolle. In der männlichen Sexarbeit sind häufig klare Kategorien und gängige Muster gefragt – schnell einzuordnen, schnell zu buchen. Aber probiere dich am besten auch in dieser Hinsicht einfach aus und finde heraus, was für dich stimmig ist. Lass dich von Misserfolgen, und die wird es definitiv geben, nicht entmutigen.
Es gibt im Internet zahlreiche Plattformen für Sexarbeit. Meist sind diese aber vorwiegend auf weibliche Sexworker ausgerichtet. Es ist daher notwendig, sich für das eigene Angebot spezialisierte Plattformen zu suchen. Auch eine eigene Webseite kann sinnvoll sein. Vor allem gilt es aber, eine möglichst große Sichtbarkeit zu erreichen – streue daher lieber zunächst etwas breiter und finde selbst heraus, welche Plattformen für dich am besten funktionieren. Auch soziale Medien können gute Marketing-Möglichkeiten bieten, allerdings sollte man sich im Klaren darüber sein, dass die Profile oft durch die Plattformen gelöscht werden.
Deine Werbefotos sollten zu deinem Angebot passen. Das heißt nicht, dass du direkt eine*n teure*n Fotograf*in buchen musst. Es gibt beispielsweise viele Sexworker, die ihre Sexarbeit als „Hobby“ vermarkten. Damit kannst du Kunden ansprechen, die das Gefühl eines „authentischen“ Dates suchen, bei dem das Geld eigentlich nur eine Nebensache ist (ob das deiner Realität entspricht oder nicht, spielt dabei keine Rolle). Wenn du aber beispielsweise eine große Erfahrung und Professionalität vermarkten willst, sollten deine Fotos auch diesem Anspruch gerecht werden. Verlasse dich auf dein Bauchgefühl und achte darauf, dass deine Arbeits-Persona, dein Angebot und die Fotos zueinander passen.
In der männlichen Sexarbeit ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass auf den Fotos, mit denen du deine Dienste bewirbst, auch dein Gesicht zu erkennen ist. Zwar kannst du dich unkenntlich machen oder den Bildausschnitt so wählen, dass du nicht zu erkennen bist, das senkt allerdings die Wahrscheinlichkeit einer Buchung drastisch. Du solltest dir also Gedanken darüber machen, dass deine Tätigkeit auch in deinem Umfeld, von deiner Familie oder einem anderen Arbeitgeber entdeckt werden könnte. Setze dich mit dieser Möglichkeit auseinander, bevor du loslegst, um böse Überraschungen zu vermeiden. Sexarbeit ist bis heute gesellschaftlich stark stigmatisiert. Du solltest nicht leichtfertig mit diesem Umstand umgehen. Daher ist es auch üblich – und wichtig – dass du dir einen Alias zulegst, du also nicht unter deinem echten Namen arbeitest, sondern dir einen Arbeitsnamen ausdenkst. Überlege dir auch gut, ob du deine private Handynummer angeben willst oder ob nicht doch ein Arbeitshandy sinnvoll sein könnte. Auch Smartphones übermitteln heutzutage häufig deine Klardaten.
Wie kommuniziere ich?
Den Großteil deiner Arbeit wirst du vor dem Computer verbringen. Die Beantwortung von Anfragen nimmt viel Zeit in Anspruch. Das bedeutet nicht, dass du erwarten kannst, mit Nachrichten von potenziellen Kunden überhäuft zu werden. Das bedeutet lediglich, dass hinter dem größten Anteil der Nachrichten, die du erhalten wirst, kein aufrichtiges Buchungsinteresse steht.
Gute Kommunikation kann dir viel unnötige Arbeit ersparen. Es ist in der männlichen Sexarbeit üblich, dass viele Kundenanfragen sehr kurz, teilweise sogar barsch sind und ohne freundliche Ansprache auskommen. Allein am Umgangston kann man leider nicht immer entscheiden, ob jemand ein sogenannter „Tastenwixer“ ist, der dir nur deine Zeit stehlen will, oder ob du eventuell einen zukünftigen Stammkunden an der Angel hast. Was also tun? Stelle möglichst schnell möglichst konkrete Fragen: Wann und wo soll ein Treffen stattfinden, wie lang soll es genau dauern? Wenn diese Fragen nicht beantwortet oder sogar einfach ignoriert werden, frage nur ein einziges Mal nach. Wenn deine Fragen dann immer noch nicht beantwortet werden, kannst du davon ausgehen, dass höchstwahrscheinlich kein Treffen zustande kommen wird, egal wie lang du noch schreibst und auf die Anfrage eingehst. Setze dir Grenzen, an denen du in der Kommunikation mit einem Kunden nicht rüttelst. Was ist dein niedrigster Preis? Was ist deine Mindestbuchdauer? Welche Praktiken bietest du auf keinen Fall an, was sind deine roten Linien? Halte dir vor Augen, dass es leider viele Menschen gibt, deren Ziel es ist, dich in deinen Grenzen und Haltungen zu irritieren, um für sich einen Vorteil aus der Situation ziehen zu können. Versucht ein Kunde schon in der Vorab-Kommunikation, deine klar formulierten Grenzen zu pushen oder zu missachten, wird er auch bei einem realen Treffen höchstwahrscheinlich grenzüberschreitend agieren. Vorsicht!
Wo arbeite ich?
Im Gegensatz zu weiblicher Sexarbeit gibt es für männliche Sexarbeit kaum offizielle und sichere Orte, an denen du dich treffen kannst. Für gewöhnlich finden die Dates daher in Privatwohnungen statt. Die meisten Kunden sind nicht bereit, für die Buchung eines Hotels einen Aufpreis zu zahlen. Falls du in deiner eigenen Wohnung arbeiten möchtest, solltest du darauf achten, dass deine Nachbar*innen etc. nicht merken, was du tust. So beugst du Stress mit deinen Vermieter*innen vor. Du solltest außerdem immer darauf achten, deine Privatsphäre zu schützen. Welcher Name steht an der Klingel? Welche Gegenstände in deiner Wohnung geben vielleicht zu viel über dich Preis? Wenn du einen Kunden in seiner Wohnung besuchst, achte auf deine Sicherheit und versuche dir stets die Möglichkeit zu wahren, dich der Situation schnell zu entziehen.
Wie schütze ich mich?
Schutz in der Sexarbeit, das ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Zum einen solltest du deine Gesundheit schützen. Dafür gibt es viel mehr als nur Kondome. Von Impfungen über Prep und Pep bis hin zu regelmäßigen kostenlosen und anonymen STI-Tests. Beraten lassen kannst du dich dazu in vielen Gesundheitsämtern oder zum Beispiel auch bei der AIDS-Hilfe.
Info am Rande: Bei männlicher Sexarbeit wird Geschlechtsverkehr ohne Kondom häufig nachgefragt. Grundsätzlich ist das laut dem sogenannten ProstituiertenSchutzGesetz verboten. Für viele Sexarbeiter ist Sex ohne Kondom dennoch eine Möglichkeit, einen Aufpreis zur eigentlichen Buchung zu verhandeln. Triff diese Entscheidung immer gut informiert und vorbereitet, niemals spontan oder weil dich ein Kunde in der Situation überreden möchte.
Der zweite Aspekt der Sicherheitsfrage behandelt die Vorkehrungen, die du für deine körperliche Unversehrtheit in Bezug auf grenzüberschreitende oder gewalttätige Kunden treffen kannst. Dazu gehören unter anderem Anzahlungen zum Date oder Screening-Prozesse (das heißt, dass Kund*innen ihre personenbezogenen Daten vorab zur Verfügung stellen müssen). Leider muss man ehrlicherweise festhalten, dass diese Dinge in der männlichen Sexarbeit sehr unüblich sind und ein Beharren auf diesen Strategien meist dazu führt, dass ein Date nicht stattfindet. Doch es gibt weitere individuelle Maßnahmen, die du ergreifen kannst: trinke vor Ort nur aus vorher ungeöffneten Flaschen oder, noch besser, nur Wasser frisch aus der Leitung. Lass dich immer covern, das heißt, habe eine Person, die genau weiß, wie lang dein Date dauert und wo es stattfindet. Wenn du dich dann zu einem festgelegten Zeitpunkt nicht zurückgemeldet hast, kann diese Person vorher abgestimmte Schritte unternehmen. Versuche, dich mit anderen Sexworkern zu vernetzen. Meist sind unangenehme oder übergriffige Kunden in der Branche schon bekannt. Kollegen warnen sich gegenseitig. Und vor allem: vertraue unbedingt auf dein Bauchgefühl.
Legal, illegal?
Sexarbeit ist in Deutschland legal, aber streng geregelt. Du bist verpflichtet, dir einen sogenannten „Hurenausweis“ zu besorgen. Damit einher gehen regelmäßige gesundheitliche Beratungen und eine Registrierung beim Ordnungsamt. Dieses leitet die Information über deine Tätigkeit an das Finanzamt weiter. Darüber hinaus gibt es viele weitere Einschränkungen, wie etwa die Sperrbezirksverordnung die regelt, an welchen Orten und Stadtteilen Sexarbeit überhaupt erlaubt ist. Der Großteil der Sexarbeit findet ohne Anmeldung illegalisiert statt, in der männlichen Sexarbeit gibt es kaum offiziell registrierte Sexarbeiter. Wirst du beim Arbeiten ohne Hurenpass erwischt, kann dir eine Geldstrafe auferlegt werden.
Und jetzt?
Nun, jetzt haben wir einen kleinen Teil der Oberfläche dessen behandelt, was es alles zu wissen gäbe. Viel gäbe es noch zu sagen, beispielsweise was in du deine Arbeitstasche packen solltest (Kondome, Traubenzucker, Gleitgel, keinen Personalausweis etc.) Am besten du schläfst eine Nacht über all die Informationen, die du grade gelesen hast, und machst dir deine eigenen Gedanken dazu. Ich kann hier nur kleine Anstöße liefern, letztlich musst du selbst herausfinden, wie Sexarbeit für dich am besten funktionieren kann. Oder aber du stellst fest, dass du dich doch lieber nicht all den Ungewissheiten und Unklarheiten ausliefern willst, dass Sexarbeit eben doch nichts für dich ist. Was auch immer passiert: versuche deine Entscheidungen möglichst bewusst und gut informiert zu treffen, lass dich nicht zu Dingen drängen, mit denen du dich nicht wohlfühlst. Und falls du tatsächlich Sexarbeiter werden solltest: Gib deine Erfahrungen an Kollegen weiter, tausche dich aus. Vor allem wir männlichen Sexworker arbeiten allzu häufig allein und prekär. Jedes noch so kleine Netzwerk, jede noch so kleine Verbindung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für sicheres und selbstbestimmtes Arbeiten. Und damit noch ein letzter Tipp: Sprich mit Sexworkern in deinem Umfeld, bevor du wirklich anfängst, zu arbeiten. Falls du keine kennst: es gibt zahlreiche selbstorganisierte Zusammenschlüsse von Sexarbeiter*innen. Schreibe ihnen einfach eine Nachricht und frage sie nach Vernetzung. Irgendwo da draußen ist immer ein Kollege, der dich gern unterstützt.